Wir sind bunt, aber voller Vorurteile: „Ich bin bisexuell“
Die wunderbare Nadine kommt aus Köln und ist bisexuell. Sie lebt in einer offenen Beziehung mit einem Mann und datet Männer und Frauen. Wie schwierig das manchmal sein kann, schreibt sie in diesem Artikel:
Übersicht
Erfahrungen mit der Gay-Community
Die Büchse der Pandora
Wann mir auffiel, dass ich mich auch zu Frauen hingezogen fühle? Das war bereits recht früh, ich meine ich war 13. Und knutschte, warum auch immer, nach etwas zu viel Sekt (ja, ich weiß, mit 13…) mit zwei (!) Freundinnen rum und realisierte schnell, dass der Alkohol lediglich Katalysator und nicht allein verantwortlich für diesen Moment gewesen sein konnte. Das Bedürfnis hatte ich scheinbar schon zuvor gehabt, denn diese Situation war alles – nur nicht seltsam. Eigentlich recht vertraut.
Und die Männer?
Je älter ich allerdings wurde, desto seltener wurden Erlebnisse mit Frauen. Es war für mich immer komplizierter Frauen kennenzulernen: Ich war unsicher, hatte einfach wenig Training im Frauen ansprechen und hatte auch Angst vor den Vorurteilen, die oft noch in vielen Köpfen steckt. Also hatte ich nur Beziehungen mit Jungs.
Bisexuell und Girls mit nach Hause bringen?
Zuhause wurde jetzt auch nie wirklich über die Möglichkeit gesprochen auch mal eine feste Freundin, anstatt immer nur männliche Spielgefährten mit nach Hause zu bringen. So kam es dann, dass ich im Laufe der Jahre meine Lust auf Frauen eher nur analysiert als ausgelebt habe.
Was mich an Frauen so fasziniert? Ihre wunderschönen, zarten, weiblichen Körperformen. Wenn ich eine Frau küsse, fühlt es sich meist sinnlicher an, auf eine gewisse Art und Weise verspielt und schüchtern. An Männern liebe ich genau das Gegenteil, die kantigen Gesichter, Bartwuchs, ein breites Kreuz, hinter dem ich mich ohne von jetzt auf gleich verstecken könnte. Ein abwechslungsreiches Spiel und viel mehr Auswahl an potenziellen Spielpartnern, yeah!
„Bisexuell? Das ist doch nur so ’ne Phase“
Zugegeben, auf beide Geschlechter zu stehen scheint auch heutzutage für manche Menschen eher schwer nachvollziehbar. Beispiele:
- „Das ist bestimmt nur so eine Phase.“
- oder Relativierungen wie „Ja ja, ich hab besoffen auch mal mit meiner besten Freundin rumgeknutscht.“
- oder noch besser Anfragen in Form von „Ach geil, ja dann steht einem gemeinsamen Dreier ja nichts mehr im Weg, oder?!“
Es ist aber auch schwer, jemanden in ein Raster zu drücken, wenn er oder sie den gleichen Spaß im Umgang mit Penissen und Vaginen (ja, das ist der Plural von Vagina) empfindet. Mann kann eben alles haben – Frau auch. Trotzdem bleibt es letztlich dabei, dass man von Zeit zu Zeit immer mal wieder in die Bredouille gerät, sich für seinen aktuellen Beziehungsstand oder Partnerwahl rechtfertigen zu müssen.
Wie wenig Schwule und Lesben von Bisexuellen halten
Als bisexuelle Frau in einer (offenen) Beziehung mit einem Mann zu sein, raubt mir meistens direkt jegliche Integrität in der Gay-Community.
Lesbische Frauen unterstellen mir gerne Unentschlossenheit und „mit dem Feind ins Bett zu gehen“. Übers Chatten ging’s daher leider selten hinaus und noch vor dem ersten Treffen wurde ich mit überschwänglichen Komplimenten, die letztlich einfach nur verschleiern sollten, dass ich einfach zu oft Bock auf einen Schwanz habe, abserviert. Außerdem würde sie mich halt nicht teilen wollen, weil allein „der Gedanke würde ja jetzt schon weh tun.“ Hmm okay, denke ich, wir haben uns noch nicht einmal getroffen. Sind lesbische Frauen also allgemein sehr besitzergreifend oder ich einfach nur eine krasse WhatsApperin, die bereits mit den ersten Nachrichten überzeugt?! Na ja, wird wohl an was ganz anderem liegen.
Heteros denken bei Bisexuellen immer nur an das Eine: Dreier
Ganz anders, ist das bei meinen heterosexuellen Fuckboys and Friends with Benefits, denn hier gelte ich eher als das Potenzial auf entspannte, zwanglose Dreier: mehr Sex! Eine reine Erweiterung des Lust-Spektrums und somit ein gern gesehener Gast!
Aber das scheint allgemeiner Bisexuellen-Usus zu sein: Warum sonst ist es für viele Männer okay, wenn ihre bisexuelle Freundin innerhalb der Beziehung andere Frauen trifft, andere Männer hingegen nicht?! Für mich war der Subtext dieser Aussage immer: Frauen stellen keine Gefahr da – Männer hingegen schon.
Ja okay, Schwanzvergleich ist auch leichter, wenn dein Gegenüber ebenfalls ein Schwert mit zum Wettkampf bringt. Schwanz & Muschi wäre ja im Endeffekt nur der altbekannte Apfel-Birnen-Vergleich: bringt also nichts.
Sind andere einfach nur neidisch auf Bisexuelle?
Außerdem, setzt das Patriarchat einen allgegenwärtigen Penis voraus, weshalb sich die Männer von ein paar Vaginen mehr nicht aus der Ruhe bringen lassen. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass all die abwertenden Klischees, mit denen Bisexuelle sich rumschlagen müssen, aus Neid und Missgunst entstanden sind. Neid auf die sexuelle Freiheit, jeden Tag aufs Neue frei zwischen Girls and Boys entscheiden zu können – oder im besten Fall einfach beide mit nach Hause zu nehmen. Alles schon passiert 🙂
Zugegeben, es ist auch einfach geil. Doppelt so viele potenzielle (Sex-)Partner – doppelt so viel Spaß. Cheers!
Bisexualität: von dem Geschenk auf beide Geschlechter zu stehen
Von wegen unentschlossen, promisk oder untreu… Ich empfinde mich eher als aufgeschlossen, flexibel und leidenschaftlich. Ich verliebe mich in Persönlichkeiten, nicht in Geschlechtsmerkmale. Vaginen machen Spaß – Penisse auch. Wieso für etwas entscheiden, wenn ich doch beides haben kann?! Wieso einschränken, wenn (heutzutage) keine Notwendigkeit besteht? Ist es nicht eher ein Geschenk sich zu beiden Geschlechtern hingezogen zu fühlen? Ich denke schon – nein, ich fühle es schon.
Aber: Bisexuelle Männer haben’s schwerer
Bisexuelle Männer hingegen haben es weitaus schwerer in unserer Gesellschaft. Sie sind meistens kein Teil von Mainstream-Sexfantasien. Warum eigentlich?
Wir lernen bereits in jungen Jahren, dank Porno, wie die Verhältnisse zu sein haben. Der dominante Mann, der sich nimmt, was er will und im Gegenzug die devote Frau, die allzeit bereit, alles mit sich machen lässt. Dieses Bild ist dank Gratis-Pornobörsen wie Youporn und Pornhub überall abrufbar.
Es wird Zeit dieses Bild zu durchbrechen.
Mehr von Nadine unter: www.nadine-primo.com oder auf Instagram