UPDATE | Take another Pill: Gericht zwingt eine Olympiasiegerin die Pille zu nehmen
Bei Caster Semenya läuft’s – nicht mehr so ganz. Die südafrikanische Olympiasiegerin soll jetzt weibliche Hormone nehmen, wenn sie überhaupt noch mitlaufen will.
Im Sport gibt es nur zwei Geschlechter: Mann und Frau. „Das war schon immer so und so muss es auch bleiben„, sagt meine innere ironische Heldin. Wer sich also hier nicht eindeutig einordnen und unterordnen kann, ist raus – sorry! Und neuerdings dürfen Mann und Frau nur einen bestimmten Hormonspiegel haben. Alles andere wäre zu abartig, so das Gerichtsurteil des Internationalen Sportgerichtshof (Cas). Eine solche Diskriminierung sei aber „gerechtfertigt und verhältnismäßig“. Bitte was? Diskriminierung, aber passt schon?
„Was war da nochmal mit dieser Läuferin?“
Caster Semenya ist eine südafrikanische Leichtathletin, die sich derzeit für ihre hohen Testosteronwerte rechtfertigen muss. Doch die Läuferin wurde eben genau so geboren. Als Frau. Mit einem Hormonspiegel, der auf eine Hyperandrogenämie hinweist. Der Leichtathletik Weltverband (IAAF) sieht darin jedoch eine Gefahr für die Chancengleichheit zwischen den Läuferinnen. So hätte Semenya durch ihre Hormone einen Vorteil, den die anderen Frauen nicht allein durch Training ausgeglichen könnten.
Manipulation des Hormonspiegels? Hell, no!
Der Verband möchte sie daher dazu zwingen, ihren Hormonspiegel durch die Einnahme weiblicher Hormone zu manipulieren. Damit würde die Läuferin an Leistungsfähigkeit verlieren. Andernfalls solle Semenya von Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Tatsächlich gab ein Gericht dem IAAF nun Recht. Will Caster Semenya auf einer Strecke zwischen 400 Meter und einer Meile starten, muss sie derzeit Medikamente einnehmen, um ihre Hormonwerte zu senken. Konkret darf sie einen Testosterongehalt von fünf Nanomol pro Liter Blut nicht überschreiten. Zwang zum Doping also.
Das Gericht gab außerdem noch einen netten Hinweis: Das Ganze sei doch auch bereits durch normale Verhütungsmittel möglich. (Und wir Frauen wissen, wie fies die Pille manchmal zu uns sein kann). Also alles halb so schlimm? Semenya selbst sagt: Hell, no! Stattdessen weicht die Läuferin nun auf die 3000 Meter Strecke aus. Genius! Auf dieser Distanz fordert der IAAF nämlich keine Manipulation der Hormonwerte. Südafrikas Leichtathletik-Föderation (Asa) hat außerdem angekündigt, Berufung einzulegen. Go for it!
Wer bestimmt, wann eine Frau eine Frau ist?
Auch wir sagen zu dem Urteil des Cas: Hell, no! Denn wie das Gericht schon sagt: Dieses Urteil ist diskriminierend. Läuferinnen mit „Differences of Sexual Development“ werden in ihren persönlichen Rechten verletzt. Südafrika sieht sogar eine Verletzung der Menschenrechte. Die Forderung des IAAF geht weit über die reine Herstellung einer Chancengleichheit hinaus und greift in die private Sphäre der Sportlerinnen ein. Dabei orientiert es sich an festgefahrenen Geschlechterrollen, die vermeintlich bestimmen, dass eine Frau nur mit einem ganz bestimmten Hormonwert tatsächlich und zu 100 Prozent eine Frau sein kann.
Wer bestimmt, wann eine Frau eine Frau ist? Ein Gericht? Ein Verband? Wohl kaum! Das Urteil ist vermessen und schafft einen Präzedenzfall, der die binären Geschlechterrollen im Sport noch weiter vertieft. Dabei wird in der Gesellschaft doch bereits eine Debatte geführt, die dieser Tendenz entgegenwirkt. Spätestens seit der Einführung des dritten Geschlechts ist die Frage nach Intersexualität und dem sozialen Geschlecht auch im Mainstream angekommen und geht weit über die akademischen Genderstudies hinaus. Damit wirkt allein die Forderung des IAAF nicht mehr zeitgemäß. Waren wir nicht schon mindestens zehn Schritte weiter?
Gut, dann schneiden wir Michael Phelps die Füße ab…
Zudem greift die Begründung über die Herstellung einer Chancengleichheit nicht wirklich. Auch andere SportlerInnen haben von Geburt an bestimmte Vorteile gegenüber anderen SportlerInnen, die ebenfalls nicht durch Training auszugleichen sind.
Usain Bolt hat beispielsweise extrem lange Beine und damit einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten. Robert Bobroczky ist mit 2,31 m der zweitgrößte Basketballspieler der Welt. Auch er kann andere Spieler wortwörtlich überragen. Genauso gibt es SchwimmerInnen mit ungewöhnlich großen Füßen. Michael Phelps zum Beispiel. Werden dieser SportlerInnen vom Wettkampf ausgeschlossen? Werden Ihnen Körperteile abgeschnitten? Natürlich nicht. Und das ist auch gut so.
Deutlich soll jedoch werden, dass es neben Hormonwerten andere Vorteile gibt, die bereits seit der Geburt existieren, jedoch im Sport als gegeben angesehen und dementsprechend toleriert werden. Wieso trifft das im Fall von Caster Semenya nicht zu? Wieso werden ihre Vorteile als ungerecht empfunden? Es gibt Experten, die von Rassismus und Sexismus in dem Urteil sprechen. Darüber lässt sich bislang nur spekulieren.
Klar ist jedoch, dass das Urteil Persönlichkeitsrechte verletzt. Es erkennt nicht an, dass Semenya schlichtweg ein angeborenes Talent hat. Genauso wie viele andere SportlerInnen. Und daher ist das Urteil nicht verhältnismäßig und in keiner Weise gerechtfertigt – sondern einfach nur diskriminierend.
Caster betont immer wieder: „Ich will auf die Bahn gehen und tun, was ich am besten kann. Laufen.“ Wenn’s doch nur so einfach wäre. Wir bleiben jedenfalls weiter für euch dran!
UPDATE „They keep talking, I keep winning. Isn’t that beautiful…?“
Finally some good news im Fall Semenya: Wie angekündigt ist die Sportlerin gegen das Gerichtsurteil des Cas vorgegangen – und das mit Erfolg: Das Schweizer Bundesgericht hat entschieden, dass die umstrittene IAAF-Regelung zunächst ausgesetzt werden muss. In letzter Instanz wird am 25. Juni darüber geurteilt, ob die „gerechtfertigte Diskriminierung“ nicht doch einfach nur diskriminierend ist.
Was macht Caster Semenya während des Rechtsstreits? Laufen. (Läuft bei dir!) Und gewinnen. Aber nicht auf 800 Metern, sondern (festhalten) auf einer Strecke von 2000 Metern.
Obwohl die Sportlerin nun, zumindest bis zum 25. Juni, weiterhin in ihrer Paradedisziplin starten dürfte, beweist es Semenya ihren Kritikern und zeigt, dass es nicht ihre Hormone sind, die sie als erste ins Ziel tragen. Deshalb hat sie geplant, die nächsten Rennen ausschließlich über 2000 Meter und 3000 Meter zu starten: „Ich kann an jedem Wettkampf teilnehmen. Egal, ob 100 Meter oder 200 Meter. Egal, ob Weitsprung oder Siebenkampf. Ich bin talentiert, deshalb mache ich mir keine Sorgen.“ You go, girl!
Wie ein Krieg
Wer kurz gehofft hat, das Urteil des Schweizer Bundesgerichts würde den IAAF zur Vernunft bringen, den müssen wir nun enttäuschen. Der Verband hat fristgerecht Einspruch gegen das Urteil eingelegt.
Things can’t get any worse? Dann aufgepasst: Schaut man sich die Details an, die nun aus dem Rechtsstreit hervorgegangen sind, scheint der IAAF bereits seit zehn (zehn!) Jahren gegen Semenya vorzugehen. Nach ihrem ersten WM-Sieg 2009 musste sich die Läuferin offenbar untersuchen lassen. Um wieder starten zu dürfen, habe ihr der Verband zu einer Operation an ihren innenliegenden Hoden geraten. Kastration.
Semenya lehnte diese Operation zwar ab, nahm anschließend jedoch widerwillig die Pille. Übrigens im Gegensatz zu vier anderen Athletinnen, die sich tatsächlich operieren ließen. Caster Semenya kämpfte mit starken Nebenwirkungen, nahm zu und litt sogar unter depressiven Phasen.
Doch auch das ist noch nicht alles. Aus der Urteilsbegründung des Cas geht hervor, dass der IAAF Semenya als „biologisch männlich“ ansieht. An dieser Stelle fehlen uns endgültig die Worte. Semenya hat Recht, die Auseinandersetzung mit dem IAAF ist „wie ein Krieg“. Deshalb bleibt alles, was zu sagen ist: Herzlichen Glückwunsch an Caster Semenya zum verdienten Sieg in Stanford über 800 Meter! Der Fall liegt nun weiter beim Schweizer Bundesgericht.
Quellen:
Spiegel: Völlig vermessen
FAZ: Diskriminierung ist notwendig
FAZ: Semenya weicht aus