Menstruation ist kein Tabuthema?!
„Finally. Ich habe meine Bachelorarbeit zum Thema Tabu und Menstruation erfolgreich verteidigt“, mit diesem Facebook-Post ging Franziska Wartenberg in wenigen Stunden viral – denn ihr Weg bis dahin war steiniger als anfangs gedacht.
Stell dir vor, du willst eine Thesis über die Periode schreiben und es heißt zunächst, dass in deinem Themenvorschlag keine Wissenschaftlichkeit bestünde. Klingt eher nach einer Szene aus einem anderen Jahrzehnt, ist aber genau so im Jahr 2018 passiert. Franziska Wartenberg entschied sich dazu, ihre Abschlussarbeit der Enttabuisierung der Periode in Medien und Gesellschaft zu widmen. Die Koordination ihrer Hochschule reagierte äußerst konservativ, doch Franzi ließ sich nicht aufhalten.
Menstruation ist kein Tabuthema!
Ihre Message: „Sprecht über das Thema, erhebt eure Stimme gegen diese dämliche Steuer, hört auf euch zu schämen, schreibt Abschlussarbeiten darüber, bringt alle in Verlegenheit.“ Wir haben bei der 23-Jährigen nachgehakt: Warum sie sich nicht entmutigen ließ, welche Erkenntnisse sie gewinnen konnte und was sie sich für Frauen im Umgang mit der Menstruation wünscht, erfahrt ihr im Interview.
Wahrscheinlich hast du diese Frage in den letzten Tagen schon etliche Male gehört: Was hat dich dazu bewegt deine Bachelorarbeit zum Thema „Tabu und Menstruation“ zu schreiben?
Wenn mich Leute fragen, wie ich eigentlich auf das Thema gekommen bin, klingt das so, als hätte ich über prähistorische Gesteinsformationen und die Verbindung zum georgischen Volkstanz geschrieben. Menstruation betrifft doch 50% der Weltbevölkerung! In meinen Augen gibt es ganz klar Aufklärungsbedarf.
Inspiriert zu dieser Entscheidung haben mich einige Autorinnen wie zum Beispiel die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömqvist. Beim Lesen ihres Comics „Der Ursprung der Welt“ wurde mir vor Augen geführt, wie verkrampft und ängstlich wir mit der Menstruation umgehen. Ich musste laut lachen.
Feel you! Nur weiß man manchmal leider nicht, ob man lachen oder weinen soll. Deine Hochschule hat dir ja zunächst aktiv die Hilfe verweigert – was war das Problem und wie konntest du das Thema am Ende dennoch durchsetzen?
Ich hatte schon befürchtet, dass sich die 27 potenziellen Prüferinnen und Prüfer meiner Hochschule, wovon gerade mal zwei weiblich sind, vielleicht nicht um die Betreuung meiner Arbeit reißen würden. Als es erst mal nur Absagen hagelte, bat ich die Koordinatorin um Hilfe. Sie riet mir, das Thema zu vergessen, da sich kein Prüfer dafür finden ließe.
Wörtlich: „Das Thema geht so gar nicht, sorry. Das ist eine Art Tabuthema„. In diesem Moment musste ich mir schon an den Kopf fassen – darum ging es ja. Ich habe mich aber nicht direkt davon entmutigen lassen.
Zuletzt konnte ich eine Prüferin, die mir bereits abgesagt hatte, doch überreden, mich zu betreuen.
Eine Frau kann über 500 Mal in ihrem Leben menstruieren
Und das bei solch einer hohen gesellschaftlichen Relevanz…
Eine Frau kann über 500 Mal in ihrem Leben menstruieren – das sind hochgerechnet über sechs Jahre ihres gesamten Lebens! Allein in diesem Moment haben weltweit über 330 Millionen Menschen ihre Periode.
Viele davon schämen sich, leiden an Beschwerden und werden nicht ernstgenommen (Sprüche wie „Die hat doch ihre Tage“ kennen wir alle). Dazu kommt: Einige haben keinen Zugang zu Monatshygiene und können nicht in die Schule oder Arbeit gehen. Das bedeutet eine signifikante Barriere vieler Lebensbereiche! Außerdem herrscht ein geringes Bewusstsein für Umweltschäden, dabei gibt es Alternativen. Das wissen wir viele nur nicht, weil dieses dämliche Tabu im Weg steht.
Welches Ziel verfolgst du in deiner Bachelorarbeit?
In meiner Arbeit wollte ich untersuchen, inwiefern das Menstruationstabu existiert, woher es kommt, wie es sich entwickelt und welche Folgen das mit sich bringt. Dabei habe ich die spezielle Rolle der Medien untersucht und festgestellt, dass Hersteller von Tampons das Tabu in ihrer Werbung sowohl verbal als auch nonverbal reproduzieren. Das ist ein Teufelskreis, der jedoch durch die sozialen Medien durchbrochen werden kann. Gerade durch junge Frauen wie Rupi Kaur oder Kiran Ghandi, die sich in den sozialen Medien an das Tabu herangetraut haben, wurde zunehmend Bewusstsein für das Thema geschafft. Jetzt fällt mir auf, dass ich ein Teil davon geworden bin. Das freut mich, aber ich hätte niemals damit gerechnet.
Keine Sahne schlagen während der Menstruation?!
Wir sind dir auch super dankbar für dein Engagement! Gab es denn Fakten, die dich besonders geschockt oder überrascht haben?
Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr schockierende Hintergründe habe ich erfahren. Namenhafte, teils sogar heilig gesprochene Persönlichkeiten der katholischen Kirche, beschreiben die Periode als „die Verfehlung Evas“. Im Alten Testament ist unmissverständlich beschrieben, dass eine Frau während ihrer Periode für sieben Tage aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden soll, weil sie unrein ist. Auch im Hinduismus und im Islam gibt es Ausschlussregelungen.
Fakt ist, dass man über Jahrtausende nicht genau wusste, warum es die Menstruation eigentlich gibt – es entstanden die wildesten Theorien, selbst in der Medizin.
Der viel gerühmte Arzt Paracelus kam im 16. Jahrhundert auf den felsenfesten Entschluss, dass es kein Gift der Welt gäbe, das giftiger sei als Menstruationsblut.
Noch bis in die späten 1960er Jahre glaubte man, dass menstruierende Frauen eine toxische Wirkung auf ihre Umwelt haben und materiellen Schaden anrichten.
Es gibt Frauen, die selbst heute noch denken, dass sie während ihrer Menstruation keine Sahne steif schlagen können. Das kann man in Internetkochforen lesen!
Apropos Internetforen…was meinst du: Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Stigmatisierung der Frau in Bezug auf die Periode?
Dank den Möglichkeiten sozialer Medien haben wir die Chance, Dinge öffentlich zu diskutieren. Wenn ein gesellschaftliches Ereignis unserem persönlichen Werteempfinden widerspricht, müssen wir es nicht mehr einfach wortlos hinnehmen, sondern können sofort dagegen laut werden. Ein Beispiel: Als Donald Trump in einem Interview die US-amerikanische Journalistin Megyn Kelly bezichtigte, bestimmte (ihm zusetzende) Fragen nur aufgrund ihrer Menstruation gestellt zu haben, löste er damit einen Shitstorm aus. Menschen aus der ganzen Welt – selbst PolitikerInnen aus den eigenen Reihen – verurteilten Trump auf Twitter für diesen Kommentar. Es entstanden Hashtags wie #periodsarenotaninsult– eine ganze Lawine wurde losgetreten. Zuletzt muss ihm die Sache ziemlich peinlich gewesen sein.
Ein gutes Beispiel dafür, was mit sozialen Medien so möglich ist, ist der Facebook-Post zu deiner Bachelorarbeit. Hast du mit so viel positivem Feedback gerechnet?
Auf meinen Beitrag haben mittlerweile über 39 000 UserInnen reagiert und er wurde über 12 000 Mal geteilt. Weil mein Kommentar so viele Leute interessiert hat, habe ich ihn noch einmal auf Englisch gepostet: Auch dieser Beitrag hat über 20 000 Reaktionen und wurde fast 13 000 Mal geteilt – Menschen aus der ganzen Welt schreiben mir, erzählen von eigenen Erfahrungen, sprechen ihren Dank und ihre Bewunderung aus. Tausende fragen mich, ob sie meine Bachelorarbeit lesen können. Noch vor wenigen Wochen habe ich händeringend nach jemandem zum Korrekturlesen gesucht und fand niemanden! Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Aber es zeigt, wie relevant das Thema ist.
Fangt an, stolz zu sein.
Absolut! Zum Schluss, Franzi: Was willst du anderen Frauen mit auf den Weg geben?
Wir sollten ein für allemal aufhören, uns selbst fertig zu machen, nur weil wir unsere Tage haben. Damit tun wir uns einfach selbst keinen Gefallen. Wenn wir uns schämen, grämen und zu Hause verstecken, stehen wir uns nur selbst im Weg. Fangt an, stolz zu sein – Gründe dafür gibt es genug!
Franzis Texte zu den Themen Menstruation und Feminismus gibt es auf ihrem Blog nachzulesen.